Poul Dohle - Thorheiten

Thorheiten
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"Das Fabulieren mit Stift und Pinsel..."

Ein Gespräch mit Poul Dohle

Begegnet uns in den Verwirrungen des Fratzenbuchs und anderen Abgründen der weltumspannenden Daten- und Kommunikationsnetze allerhand Verstörendes, so lassen sich darin gleichwohl Wege einschlagen, die wundervoll bereichernde Perspektiven eröffnen. Dazu gehören jene Gelegenheiten, die uns Künstler einräumen, ihnen praktisch über die Schulter, respektive genauer auf Stift, Feder oder Zeichen-Pad zu schauen, und zu verfolgen, wie aus Skizzen kleine oder große Kunstwerke werden.
Es ist nun bereits eine Weile her, seitdem ich zum ersten Mal ein Bild von (Helmut) Poul Dohle erblickte und es mich magisch in seinen Bann zog. In der Zwischenzeit habe ich mich wohl über Dutzende von Pouls Werken, bzw. ihre Ansicht am Bildschirm gefreut. Im Chaos unserer Zeit sind es für mich Momente, in denen ich manches Mal schmunzle, staune, ja, ich wiederhole mich, in denen ich mich "einfach" freue. Dabei stelle ich es mir keineswegs einfach vor, so beherzt und kreativ zu Werke zu gehen wie der in Münster beheimatete Künstler, der z.B. im so genannten "Inctober" täglich ein neues kleines Werk präsentiert - scheinbar, ohne seine gute Laune zu verlieren.
Poul Dohle führt PoulArt zusammen mit seinem Sohn Daniel, der sich bei mehrdimensionalen Projekten wie z.B. den "Steambugs" der Musik widmet.

Poul, zunächst herzlichen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, einige Fragen zu beantworten! Ich kann mir gut vorstellen, dass Du manche Fragen recht häufig hörst, zum Beispiel die nach dem Zeitpunkt, als Du gemerkt hast, dass Dir Kraft Deiner Vorstellungsgabe und Deiner Feinmotorik etwas gelingt, das sich nur die wenigsten Menschen überhaupt zutrauen würden. Gab es da Momente, in denen es quasi "klick" gemacht hat und Dir klar war: Phantastische Kunst - ja, das ist meine Berufung?!

Poul: Als erstes erwidere ich das Dankeschön für die wunderschöne Einführung und deine Einladung. Es ist immer herrlich, Menschen zu begegnen, die nicht nur schauen, sondern sehen. Ist ja gerade sehr "in", Bilder zu konsumieren, sprich Instagram-mäßig Pictures rauf und runter zu scrollen. ;-) Und da ist es leicht, in der Masse unterzugehen… Ich liebe es, entdeckt zu werden… Das mit dem "Klick" ist so eine Sache: Da einiges im Leben unbewusst durchlebt wird, kann ich z.B. den Zeitpunkt nicht genau definieren - ist es der erste Donald-Duck- oder Leutnant-Blueberry-Comic, sind es die Cover von Hipgnosis, Mati Klarwein oder Roger Dean, der erste frühe Kontakt mit den Surrealisten insbesondere Max Ernst, den Präraffaeliten oder der Renaissance… Ich denke, wenn ein emphatischer junger Mensch von ca. zwölf Jahren van Ecks Bild "Der Mann mit dem roten Turban" in einem Katalog anschaut und dabei gerade das Bachstück "Erbarme dich" im Radio gespielt wird, kann es schon sein, dass es eine ungeahnte Wirkung erzielt…  

Als Dreikäsehoch bin ich einst nach der Grundschule einige Kilometer in die Stadt gelaufen, um mir in der Bücherei u.a. Bildbände mit phantastischer Kunst auszuleihen, die ich mir allenfalls zum Geburtstag oder Weihnachten hätte wünschen, nicht jedoch vom kargen Taschengeld leisten können. In Verbindung mit Literatur (Tolkien, Hohlbein...) und später auch Musik (Bo Hansson...) konnte ich mich damals stundenlang in wunderliche Welten hineinphantasieren und alles Andere hinter mir lassen. Dabei hegte ich eine Bewunderung für Menschen, die auf dem Papier Landschaften und Szenerien entstehen ließen, welche die Vorstellungskraft beflügeln. Wie erging es Dir in jungen Jahren und was ermutigte Dich, selbst zum Stift zu greifen?

Wie ich eingangs schon angeführt habe, sind es immer wieder Ereignisse und Erlebtes, die mich dazu bewegt haben, das Fabulieren mit Stift und Pinsel zu beginnen… Ob es die Raumpatrouille mit der herrlich genial-verrückten Musik von Peter Thomas, deren Geschichte ich dann am Rande auf Leerstellen unserer TV-Zeitschrift weiterführte oder ein durch Verliebtheit inspirierter Erstversuch eines Portrait einer Mitschülerin: Ich merkte dabei immer wieder „Wow, das macht mir Spaß, darin finde ich mich wieder…“ Dabei muss ich sagen, dass ich ein „astreiner“ Autodidakt bin und nie eine Uni oder eine berufliche Ausbildung in dieser Richtung absolviert habe.

Wie sieht heute ein "Arbeitstag" von Dir aus; gibt es Tricks für trübe Tage, an denen Dich die Muse nicht gleich nach dem Aufstehen küssen mag?

Die Muse liebt und lebt neben mir und wenn es sein muss, schaue ich mir vor meinem inneren Auge meine  Söhne, meine Schwiegertochter oder die beiden Enkel an. Da kommt Freude auf. Wenn das alles nicht hilft, höre ich gute Musik und werfe einen klaren Blick in den Spiegel - da ist Inspirationsfläche für ein WarmUp garantiert… ;-)
Eines von Poul Dohles Cover-Kunstwerken für die Münsteraner Prog-Rock-Hopefuls Giant Hedgehog

Aufmerksam auf Deine Kunst wurde ich ja durch das Cover für die erste Giant-Hedgehog-EP, und Dein Stil passt zweifelsohne ganz wunderbar zur Musik jener eigensinnigen Rock-Band aus Münster, der Du offenbar "treu bleibst", wenn ich das richtig wahrnehme, oder? Wie bist Du auf die Band aufmerksam geworden?

Du hast recht, ich bin ein wahrer Fan der Jungs und liebe das, was sie bewerkstelligen. Hut ab und großen Respekt! Was uns verbindet, ist die Liebe und die große Hingabe zu dem, was wir in diese Welt "gebären", und natürlich insbesondere zur Musik. Zu ihnen bin ich durch meinen Sohn Daniel, der selber leidenschaftlicher Musiker und hybrid veranlagter Künstler ist, gekommen. Er hat in der Anfangszeit von Giant Hedgehog als Schlagzeuger mitgewirkt und ist nach einiger Zeit im Guten ausgestiegen. Die Jungs hatten immer einen guten freundschaftlichen Kontakt zueinander und als die Anfrage von Thomas und Niklas kam, war es mir ein Bedürfnis, ihnen weiter zu helfen. Hat auch nur eine kurze Zeit gedauert, da stand das Konzept und ich konnte mich auf den Igel stürzen.

Eine kleine Band, die ihre erste EP im Eigenverlag veröffentlicht, wird Dich kaum mit Schatzkisten voller Gold und Silber entlohnen können, daher schätze ich eine solche Kooperation als freundschaftlich gesinnte Angelegenheit unter Kunst- und Musik-Liebhabern ein, bei welcher Geld keine allzu große Rolle spielt. Wie wichtig ist es Dir, dass Deine Illustrationen bei so etwas in die "richtigen Hände" geraten und es eine "runde Sache" ist?

Wie ich es oben schon andeutete, ist es auch immer eine Fügung und das Verhältnis muss stimmen. Ich arbeite ja mit Daniel in eine GbR als PoulArt zusammen und nehme dabei natürlich sogenannte Brotjobs an. Die sind nicht immer befriedigend und knapsen oft genug, wegen Zeitmangels und starren Hierarchie-Denkens, ein großes Stück meines Könnens und Wissens ab. Da mache ich doch lieber zwischendurch ein Crowdfunding-Projekt  mit meinem lieben Freund Christian von Aster und lass die "Steambugs" auf die Welt los oder eben ein Cover für eine relativ unbekannte Gruppe von Musikern, deren Funke zu uns überspringt, wie bei Giant Hedgehog oder die von Tolkien inspirierte Gruppe Faelend. Da haben wir viel Freude und wissen, das es die richtigen Leute findet. Entwicklung von Fan- und Liebhaberkultur eben, die sich oftmals bei  großen Verlagen nicht entwickeln kann, da  die so aus meinem Pinsel fließenden Kreaturen oftmals nicht dem Mainstream entsprechen. Im übrigen schätzen die Giants meine Arbeit sehr und ich bin ausreichend entlohnt worden… Es ist uns bislang eigentlich nicht passiert, dass wir unseriöse Anfragen bekommen haben.

Dürfen sich auch andere Bands und Musiker bei Dir melden? Und falls ja: Wer bräuchte es trotzdem gar nicht erst zu versuchen?

Ja, natürlich. Anfragen werden im Team besprochen und dann sauber kommuniziert.

Du hast ja erst kürzlich begonnen, einen Flöte spielenden Igel zu malen. Wie wichtig sind Dir Begegnungen mit Tieren in halbwegs "freier Wildbahn", um Deinen Figuren auf so beherzte Weise Leben einzuhauchen?

Eigentlich gar nicht, die begegnen mir eher in meinen Träumen. In meinen Bildern sind es ja zumeist vermenschlichte Tiere. Ähnlich einer Fabel versuche ich, über diese Wesen eine verschlüsselte Botschaft mitzuteilen. Da kann es schon mal passieren, dass ein Bandname wie Animal As Leaders ein Aufhänger oder Ideengeber für diese Tierwesen wird.
Im wahrsten Sinne des Wortes unheimlich bereichernd: Wer Poul Dohle im Fratzenbuch über die Schulter schaut, bekommt auch "work in progress" zu sehen - und kann nachverfolgen, wie z.B. per Pinselstrich selbst Wesen aus dem Totenreich buntes Leben eingehaucht wird.

Im Zeitalter, das von genügend respektablen Geistern nicht zuletzt als "flüchtig" beschrieben wird, besteht ja grundsätzlich die Gefahr, von einem "Event" zum nächsten zu eilen, von einer "Sensation" zur nächsten zu klicken und so weiter. Und natürlich ertappe ich mich beim morgendlichen Kaffee vor der Arbeit auch dabei: Ach, der Poul aus Münster hat ein neues Bild gepostet von einem drolligen Igel, wie schön! Klick - gefällt mir. Und weiter geht’s... Es bleibt das nagende Gefühl, dem Kunstwerk und Deinem Schaffen nicht wirklich gerecht zu werden. Darum die Frage, wann und wo Originale von Dir in Ruhe angeschaut werden können, und ob es eigentlich einen Bildband von Dir gibt oder geben wird?

Danke dir für diese Frage. Da ich ja noch ein klassischer traditioneller Künstler bin und einem Kunstwerk eher in einer Ausstellung, in einer Galerie oder einem Museum begegnen möchte, ist mir der digitale oder auch der reproduktive Teil zu wenig. Wobei es klar sein sollte, dass es schon hilfreich ist, über das Web Künstler zu entdecken. Dennoch lebt ja gerade das klassische Bild von seiner Haptik und je nach Material von seinem Tiefenlicht, welches die beiden genannten Darstellungsweisen nicht erreichen. Auf den Messen oder Events, wie die kürzlich veranstaltete BuCon, sind die Menschen immer sehr überrascht, sobald sie meine Bilder, die ich immer in einem kleinen antiken Photoalbum mitführe, erblicken. Viele haben im Internet den Eindruck bekommen das ein oder andere hochgeladene Bild habe eine DinA4 Größe. Sie messen im Realen aber nur ca. sechs mal zehn Zentimeter und trotzdem sprießen allerhand Informationen in den Details aus ihnen. Zudem ist das Sehen ein Sinn, der auch finden und betrachten möchte und das ist beim Überfliegen von Bildern z.B. bei Instagram nicht möglich. Sehen ist für mich Genuss… Ich bereite mich zur Zeit auf eine Ausstellung vor, die Anfang nächsten Jahres mit dem Dresdner Künstler Stefan Bley in der Wuppertaler Galerie Nautilus stattfindet. Dort möchte ich unter anderem auch gerne das neue Cover für Giant Hedghog präsentieren. Außerdem suchen wir nach neuen Ausstellungsmöglichkeiten und sind für Infos in diese Richtung sehr empfänglich! Und ein Bildband wäre in kleiner Traum.

Zum Urlaub in der Sächsischen Schweiz hatte ich kürzlich u.a. Otfried Preußlers Rübezahl-Buch mitgenommen, um oben auf den Felsen, über den Wäldern thronend, zu schmökern und vorzulesen. Ein ums andere Mal dachte ich mir "wenn ich bloß malen könnte, was ich hier sehe und was ich mir vorstelle". Woher nimmst Du Deine Inspirationen für phantastische Landschaften und von welchen Ausflügen oder Reisen zehrst Du lange noch nach Deiner Heimkehr?

Ich bin ja eher klassischer Schreibtischtäter, doch natürlich nehme ich jede Reise mit in mein Arbeitszimmer und bei einem längeren Urlaubsaufenthalt wird selbstverständlich der Bleistift gerockt. Zuletzt noch in Südfrankreich am Lac de Saint Croix. Dort habe ich ein paar Sepiazeichnungen vom grünen Mann und von einer grünen Frau sowie einige Bilder von Pan gezeichnet...

Ich muss zugeben, dass ich nicht so wirklich durchblicke, an welchen Projekten Du arbeitest, bemerke allerdings eine stilistische Vielfalt, die mich immer noch Staunen lässt, z.B. angesichts der „Insel der Narren“ oder einiger Artus-Motive. Gibt es Arbeiten, die Dir besonders am Herz liegen und die Du besonders gerne präsentierst?

Die genannten sind mehr mein inneres Anliegen und führen auch am Besten meine älteren Arbeiten fort als die eher comic-haften oder kindlichen Motive, die eher der Verlagsarbeit geschuldet sind. Die kleinformatigen Bilder wie die "Attic Finds" oder "About Wizards and Witches" (zu finden auf Pouls Homepage) würde ich eher als Fingerübungen meiner tiefen Leidenschaft für das Skurrile, Außergewöhnliche sehen. Spontaner Ausdruck meiner impulsiven Leidenschaft zur phantastischen Anderswelt. Sie beinhalten meine beiden Interessen für die surrealistische, phantastische Kunst sowie die künstlerische Buchillustration.

Mit Erleichterung beobachte ich, dass Fantasy-Kunst und -Literatur in den vergangenen Jahren weniger naserümpfend rezipiert werden, sondern ein Umdenken einsetzt: Phantasie und Kreativität lassen sich nicht erzwingen, und sind doch dringend nötig, um aktuellen Herausforderungen mit Wagemut und Abenteuerlaune begegnen zu können. Wie erlebst Du Dein Schaffen vor dem Hintergrund solcher Überlegungen? Deine Kunst ist zweifelsohne bewegend - ist sie vielleicht auch politisch zumindest im Sinne von Partei ergreifend, z.B. für mehr Freiräume und Kreativität?

Rein politisch bin ich nicht unterwegs, denn das wird immer mit Agenden verknüpft. Ich würde da eher philosophisches, poetisches Denken sehen. Leider sind die Gier und die Möglichkeiten des Kommerz, da globalisiert, sehr groß geworden, und ich gehe schwer in der Annahme, dass dem Begriff der Fantasy bzw. der Phantastik immer mehr die Reichhaltigkeit und Vielfalt genommen wird. Ich bekomme ebenfalls des öfteren mit, dass Kreative zuerst an das Geld denken und den Spaß zumeist hintanstellen… Allerdings sind durch das Web verschiedene Möglichkeiten der Präsentation und Verknüpfung mit „Gleichgesinnten“ entstanden. Die  dadurch erwirkten Freiräume sollten und werden wir nutzen.

In ihrem lesenswerten Plädoyer "Rettet das Spiel!" stellen der Neurologe Gerald Hüther und der Philosoph Christoph Quarch fest, dass Malerei „zweifellos ein Spiel“ sei. Kannst Du Dich dieser Sichtweise anschließen, und hast Du vielleicht bereits auch mal ein Brettspiel o.ä. illustriert?

Wenn du das Brett vorm Kopf meinst, dann ja, und zwar desöfteren… Aber um auf die Feststellung der beiden genannten Autoren zurückzukommen: Selbstverständlich ja. Selbst meine zum Teil auf realistischen Begebenheiten basierende Kunst wird spielerisch umgesetzt und ist selbst für mich immer wieder überraschend in der Entstehung und im Endprodukt. Der Vorgang oder Akt der Herstellung meiner Malerei folgt allerdings nicht einem Plan, sondern ist eher ein in sich ruhender Trance-ähnlicher Zustand.

Poul, bevor wir zum Ende dieser Fragerunde kommen: Gibt es eine Frage, die Dir Deiner Meinung nach zu selten gestellt wird?

Hast du nicht auch schon des öfteren den Klang von Orpheus Leier vernommen? Bist du nicht derjenige, der dem Pan die Flöte stibitzt hat?

Danke Dir für Deine Zeit, Deine offenen Worte und dafür, dass Du mit Deinen Werken so viel Freude schenkst und Freiräume eröffnest - alles Gute & noch lange frohes Schaffen!


Das Interview wurde 2019 geführt.


Alle Bilder (c) Poul Dohle.


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