Skogens Rymd - Thorheiten

Thorheiten
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„Wälder waren und sind die Orte meiner Träume.“

Ein Gespräch mit Alessia Brusco / Skogens Rymd.

Auf die Kunstwerke von Alessia Brusco / Skogens Rymd wurde ich aufmerksam, als mein Blick auf ein Album-Cover des schwedischen Dungeon-Synth-Projekts Örnatorpet fiel, und ich mich zunächst verwundert fragte, ob denn da einige mir bislang unbekannte Bilder von Theodor Kittelsen Verwendung gefunden hätten. Bei genauerer Betrachtung verflüchtigte sich diese waghalsige Vermutung in Windeseile, doch bereits jener spontane Eindruck dürfte einiges über den Charakter von Alessias Aquarellen, Illustrationen und Gemälden sagen, die eine Waldwelt zum Vorschein bringen, in welcher Menschen keine Rolle spielen, dafür jedoch allerhand Tiere - und Sterne. Das Interview mit der nach Schweden ausgewanderten Italienerin kam während des ersten Jahres im Covid-Wahnsinn per Email-Schneckenpost ins Rollen...

Hallo Alessia, und danke, dass du Dir die Zeit nimmst, einige Fragen zu Deiner Kunst zu beantworten! Mit der Corona-Virus-Pandemie im Rücken bleibt vielleicht Zeit, sich wieder auf das Leben zu konzentrieren, sodass sich ein Interview heutzutage als willkommene Abwechslung andienen könnte. Wie geht es dir?

Hey und vielen Dank für deine Geduld mit mir und meinen unglaublich späten Antworten. Du hast im Frühling zum ersten Mal Kontakt aufgenommen und dann habe ich aus dem einen oder anderen Grund vergessen, dieses Interview zu beantworten. Mir geht es gut, danke, aber diese letzten Monate waren sehr Besorgnis erregend - wie wohl für viele andere Leute. Ich lebe weit entfernt von meiner kleinen Familie in Italien und das ist während dieser Pandemie schwer. Meine Mutter und meine Oma hatten sich mit dem Virus infiziert, befinden sich jedoch mittlerweile zum Glück auf dem Weg der Besserung.
Ich bin selbst eine riesige Hypochonderin, also eine ziemlich ängstliche Person, und es braucht so gut wie nichts, um mich zu entmutigen und zu lähmen.
Abgesehen von meinen Sorgen, hat sich in den vergangenen Monaten nicht so viel bei mir geändert. Ich bin es gewohnt, mit meinem Partner und unseren Hunden ziemlich isoliert zu leben. Und da ich auch mit Hunden arbeite, treffe ich selten Menschen, und halte mich die ganze Zeit in der Natur auf.

Ich habe gelesen, dass Du Literatur und Geschichte des Mittelalters studiert hast. Wahrscheinlich erinnerst Du Dich angesichts der heutigen Krise an bestimmte historische Ereignisse und menschliche Versuche ihrer Bewältigung?

Ja, das ist richtig, ich habe an der Universität mittelalterliche Geschichte studiert und die verschiedenen Wellen der Pest in Europa haben mich sehr fasziniert. Es ist schon amüsant, dass ich als Hypochonderin einen Narren an medizinischen Themen fresse. Wer eine beängstigende Darstellung der Pest in Italien lesen möchte, dem schlage ich vor, sich die Einleitung von Boccaccios „Decamerone“ zu Gemüte zu führen.
Die Menschen haben sich seitdem nicht sehr verändert und ich glaube auch nicht, dass sie es tun werden. Eher schätze ich, vor allem im Hinblick auf die Spiritualität, dass es tatsächlich schlimmer wird.

Wenden wir uns lieber Deiner Kunst und Deiner Wahrnehmung zu: Kannst Du Dich an eine Gelegenheit erinnern, bei der Du Dich von einem Gemälde oder einer Illustration buchstäblich in seinen bzw. ihren Bann oder wenigstens so angezogen fühltest, dass Du Dich darüber gewundert hast? Wenn ja, wärest Du so freundlich, uns an diesem magischen Moment teilhaben zu lassen?

Was für eine schöne Frage, danke! Ich erinnere mich an eine Begebenheit in meiner frühen Kindheit: Und zwar habe ich ein Gemälde vor Augen, das von einem Sohn von Freunden meiner Familie gemalt wurde, der damals als Teenager eine Kunstschule besuchte. Ich war ungefähr drei Jahre alt, als wir bei ihnen zu Abend aßen und ich in seinem Zimmer eine große Zeichnung sah, die er angefertigt hatte: Ein Porträt des Todes mit Umhang und Sense und so weiter, der auf einem Thron sitzt. Ich stand einfach da und bewunderte es, ohne Angst, allerdings mit großer Faszination. Seitdem mag ich dunkle Dinge und fühle mich immer noch sehr wohl, wenn ich Horror- oder Splatterfilme anschaue.
Wenn Menschen an das Mittelalter denken, geht das oft mit Dunkelheit und Tod einher, und das war sicherlich auch das, was mich an dieser Epoche faszinierte. Doch nun bestimmen diese Themen unsere Gegenwart. Das Mittelalter erstreckte sich über einen langen Zeitraum, war vielfältig und es gab zahlreiche Aspekte in Kultur, Philosophie und Kunst, die damals aufblühten. Ich liebe mittelalterliche Ästhetik, von den Miniaturen bis zur Architektur, und schätze natürlich immer noch diese bedrohlichen Gemälde mit den Teufeln und Verdammten, jedoch auch die subtile „Dunkelheit“ vieler mittelalterlicher Denker und Mystiker.

Da ich das Privileg habe, mit Kindern zu arbeiten, genieße ich oft ihre spontanen Reaktionen, zum Beispiel auch auf Kunst. „Wie kann ein Künstler soooo gut werden?“ ist eine Frage, die ich hin und wieder höre, oft genug gefolgt von „ich muss es nicht einmal versuchen, ich werde niemals auch nur annähernd so gut werden“, was für mich kein Argument ist, dieser Mutlosigkeit zu viel Raum zu gewähren. Nun bist Du eine autodidaktische Künstlerin. Ich schätze, Du würdest empfehlen, dass man sich Zeit zum Ausprobieren nehmen sollte und sich nicht zu schnell entmutigen lässt. Du hast selbst erst vor vier Jahren begonnen, zu malen...?

Das ist richtig, ich habe vor etwas mehr als vier Jahren angefangen, zu malen. Vorher habe ich es hin und wieder genossen, zu zeichnen und bei einigen Schulprojekten kreativ mitzuwirken. Als Kind liebte ich es, Zeichnungen von Zeichentrickfiguren oder Kleidern zu kopieren, und eine kurze Zeit träumte ich davon, Stylistin zu werden, haha. Als ich mich dann für eine Hochschule entscheiden sollte, schwebte mir durchaus der Besuch einer Kunsthochschule vor, aber diese war zu weit von zu Hause entfernt, wo ich noch lebte. In meiner Familie kam es zu Trennungen, meiner Mutter ging es nicht gut und ich wollte daher nicht weit wegziehen. Deshalb entschied ich mich für ein klassisches Studium, also Latein, Griechisch, Geschichte und so weiter. Heutzutage bin ich über diese Entscheidung froh, denn ich habe viel dadurch gelernt.
Nachdem ich zum ersten Mal nach Schweden gereist war, verspürte ich erneut den Drang, etwas Kreatives zu machen. Wälder waren und sind die Orte meiner Träume, und der Nachthimmel symbolisiert so vieles, dass es unmöglich ist, das hier zusammenzufassen. Also habe ich begonnen, mich diesen beiden Erscheinungen zu widmen und mache das bis heute. Natürlich kann jeder mit so etwas anfangen und sich ausdrücken. Ich muss ehrlich sein und sagen, dass ich nicht übe, sondern nur direkt auf Papier oder Leinwand male. Ich kann das Malen mit einer Skizze nicht so sehr „planen“. Aber fühlt euch nicht entmutigt, wenn es euch nicht gleich gelingt, das umzusetzen, was ihr euch vorstellt!
Ich wurde kürzlich auf Deine Kunst aufmerksam, als ich auf das Cover des „The Heathen Kingdom“ Split-Albums von Örnatorpet und Isegrimm erblickte. Auf mich wirkt das gesamte Album einschließlich Deiner Kunst wunderbar schlüssig. Erst im Anschluss daran wurde mir klar, dass einige Deiner Kunstwerke bereits andere Alben schmücken, u.a. die Debüt-EP von Varde. Warst Du bereits länger im Underground aktiv oder haben die Bands, mit denen du zusammen arbeitest, Deine Kunst gefunden?

Ich höre Black Metal und andere Underground-Musik seit meinen Teenager-Tagen, doch ich selbst war nicht in der Szene aktiv, da ich keine Instrumente spiele. Es ist viele Jahre her, dass ich auf einem Gig war oder Zeit in einem Pub oder einer Bar verbracht habe. Die meisten meiner Kontakte ergeben sich über Instagram, und ich bin so glücklich, dass viele Bands meine Kunst dort entdeckt und mich kontaktiert haben! Es ist auch schön, neue Projekte zu entdecken, und ich fühle mich sehr geehrt, ihre Cover illustrieren zu dürfen. In gewisser Weise kann ich es immer noch nicht glauben, dass jemand meine Bilder für seine Musik haben möchte. Als ich das erste Vinyl-Album mit Kunst von mir auf dem Cover aus einer Verpackung zog, habe ich geweint.

Nachdem ich vor mehr als 25 Jahren den Aufstieg des Nordischen Black Metal in den Neunzigern und die ersten Schritte der - damals so genannten - „Dark Dungeon Music“ miterlebt habe, bin ich manchmal überrascht, dass bestimmte Musik und Kunst in meiner Wahrnehmung offensichtlich nie langweilig werden. Obwohl sich mein Geschmack nicht auf einen Stil beschränkt, ist meine Faszination für düstere Kunst, die von der nordischen Natur inspiriert ist, immer noch ungebrochen. Und daher bin ich beim Anblick Deiner Bilder gerührt, obwohl sie an der Oberfläche scheinbar kaum mehr bieten als „dieselben alten Landschaften“ oder eine von vielen Interpretationen dessen, was John Bauer, Theodor Kittelsen und dergleichen vor einiger Zeit so schön verewigt hatten. Betrachtest Du Deine Kunst in diesem Sinne als „traditionell“ und stimmst Du zu, dass sie eine fast meditative Qualität ausüben kann, insofern als dass die stets „gleiche“ Ästhetik eine heilende Kraft haben kann?

Vielen Dank für die Worte zu meiner Kunst bei der Eröffnung deiner Frage! Bauer und Kittelsen sind eine enorme Inspiration, allerdings nicht so sehr in ihren Stilen - die ich liebe und verehre, so dass es ganz normal ist, dass ich manchmal versucht habe, sie zu „kopieren“ -, sondern mehr, wenn es um die Stimmung geht, die sie in ihren Meisterwerken eingefangen haben. Ich mag die Ästhetik von 1800 bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts sehr, daher wäre ich dankbar, wenn meine Kunst als „traditionell“ bezeichnet würde. Gleichzeitig bin ich jedoch auch sehr froh, dass die Betrachter nicht nur neue Interpretationenen von älteren Gemälden erkennt. Mein Stil ist ebenso stark von meiner enormen Liebe zur Natur und zu Tieren beeinflusst, denen ich mein Leben widme. Wilde Tiere tauchen in meinen Bildern oft als Silhouetten im Nebel auf, als Ahnungen ihrer Wesen. Sie sind für mich eine Art „Genius Loci“, und ich bin sehr glücklich und dankbar, wenn ich einem Exemplar im Wald begegnen kann.

Du hast das Motiv „Nattsaga“ auf ein Holzfass gemalt, das nicht nur absolut umwerfend aussieht, sondern mich auch dazu inspiriert, darüber nachzudenken, ebenfalls auf dieses oder jenes Objekt zu malen, um der hypermodernen Welt ein bisschen „Trolldom“ entgegenzusetzen. War dieses „Nattsaga“-Fass Teil eines bestimmten Kunstprojekts - ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, dass es etwas Besonderes für Dich war?

Das „Nattsaga-Fass“ war ein Projekt, das von einem Weingut, der Nordic Sea Winery in Simrishamn, gefördert wurde. Andere hiesige Künstler und ich haben diese großen Fässer bemalt, sie wurden zum Verkauf angeboten und die Hälfte des Gewinns floss in ein Projekt zur Reinigung und Rettung der Ostsee-Küste in diesem Teil Schwedens. Es hat einerseits sehr viel Spaß gemacht, das Fass zu bemalen, andererseits war es auch ein wenig schwierig, denn ich arbeitete daran in meiner vorigen Küche, in der es fast den gesamten Raum einnahm.

Neben den Königreichen in den Wäldern, die im Mittelpunkt Deiner Kunst stehen, hast Du Deine Faszination für die Sterne erwähnt. Meinem Eindruck nach kann der Sternenhimmel ein Gefühl von Freiheit oder den Wunsch der Weltflucht verstärken; also den Wunsch, alltägliche Themen und Probleme hinter uns zu lassen und mit der „Majestät des Nachthimmels“ - um Emperor zu zitieren - eins zu werden und uns an größere Dimensionen zu erinnern. Brichst Du mit der Idee auf, den Nachthimmel im Wald auf Dich wirken zu lassen oder kommt so etwas einfach hin und wieder vor, dass Du Dich in inspirierenden Landschaften wiederfindest, die Du quasi „mit nach Hause nimmst“ und in gewissem Maße in Deine Kunst einfließen lässt?

Der Nachthimmel hat mich stets fasziniert. Dazu gehört auch die Erinnerung an meine Kindheit, in der ich davon hörte, dass die Sonne in ferner Zukunft explodieren wird. Oder ich erschrak mich über die unvorstellbare Größe des Universums. Mnaches Mal wachte ich weinend auf, wenn vom endlosen Universum oder dem Ende der Welt geträumt hatte.
Ich folge auf Instagram oder Facebook einigen wissenschaftlichen Seiten über das Universum, doch ich bin in diesen wissenschaftlichen Themen nicht sehr bewandert und lese jene Threads eher zum Spaß... oder ich bereite mich darauf vor, dass mich neue Entdeckungen und Theorien das Fürchten lehren, haha!
Manchmal mache ich auch nachts Spaziergänge, um den Himmel zu betrachten, der hier in der schwedischen Einöde so dunkel und klar ist! Zudem inspirieren mich auch einige Instagram-Kanäle, die sich der Astrophotographie widmen.

Eine Facette der Menschen der späten Moderne, die mich unbeschreiblich frustriert, besteht darin, dass sie offenbar „vergessen“ haben, dass sie von einer Welt voller Leben umgeben sind. Wir scheinen heute die Wissenschaft zu brauchen, um „neu zu entdecken“, dass Bäume Lebewesen sind, die miteinander interagieren oder dass Tiere Gefühle haben... Deine Kunst transportiert dieses Wissen auf natürlichste Weise: Alles lebt sein eigenes Leben und natürlich gibt es „übernatürliche“ Wesenheiten und Geister - doch wir müssen ein paar Gänge runterschalten, um die Kräfte der Natur auf uns wirken zu lassen und Empathie für das Leben zu entwickeln, nicht wahr?

Ja, wir müssen das Tempo drosseln, und uns wieder auf uns besinnen. Ich glaube, ich habe diese Frage bereits ein wenig beantwortet, als ich vom „Genius Loci“ in der Natur sprach: Tiere, Bäume und alles sind Essenzen. Wir Menschen sind nicht mehr, denke ich. Ich sehe die moderne Welt ziemlich negativ. Ich habe jahrelang versucht, mich von Nachrichten und so weiter zu distanzieren (ich weiß, dass es für viele falsch ist, sich nicht auf Dinge einzulassen, aber ich habe es nicht mehr ertragen).

Wie oft gehst Du nach draußen, um Dich inspirieren zu lassen? Hast du Lieblingsplätze?

Ich bin jeden Tag draußen in der Natur, sowohl zu Hause als auch bei der Arbeit, und ich bin rund um die Uhr mit Tieren zusammen. Darüber bin ich sehr glücklich! Wir sind kürzlich in ein hübsches Haus am Wald gezogen, sodass jetzt alle Orte zu meinen neuen Lieblingsplätzen werden... Ich entdecke jeden Tag neue kleine Wege.

An welchen Projekten arbeitest Du dieser Tage und ist es in Ordnung für Dich, wenn Leute mit Dir Kontakt aufnehmen, um einen Auftrag für ein Bild zu besprechen?

Ich kann nicht in Worte fassen, wie geehrt ich mich fühle, wenn sich Menschen mit einem Auftrag oder dem Wunsch an mich wenden, ein Bild zu erwerben! Aktuell habe ich mir eine kleine Urlaubsphase bis Januar eingerichtet, damit ich einige Projekte realisieren kann, die ich im Kopf habe. Und eine Auftragsarbeit für vier Bands wartet auch bereits auf ihre Umsetzung.

Vielen Dank, Alessia, dass Du Dir die Zeit genommen hast, zu antworten und danke dafür, dass Du die Welt mit solch magischen Perspektiven bereicherst - Glück auf!


Das Interview wurde 2020 geführt und erschien 2021 in Mørkeskye #17.


Alle Bilder (c) Allessia Brusco


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